Wer so rührend und wertschätzend in den Ruhestand verabschiedet wird wie Gymnasiumleiter Ulrich Wessel, der muss den Herbst des Lebens nicht fürchten.
Halterner Zeitung, 04.07.2024, von Elisabeth Schrief
Das Karussel der Schule dreht sich weiter, aber Ulrich Wessel als täglicher Fahrgast ist abgesprungen. „In Stoßzeiten und schwierigen, herausfordernden Momenten war er in rasanter Fahrt unterwegs. Sein Ausstieg heute ist Anlass, sein Wirken zu würdigen“, begrüßte der stellvertretende Schulleiter Alexander Viering über 200 Gäste in der Aula des Schulzentrums.
Ulrich Wessel (65) verabschiedete sich in großem Kreis in den Ruhestand oder wie er sagt, in den Herbst des Lebens. 42 Jahre lang, so betonte er, sei er immer gern zur Schule gegangen. Jetzt sei es Zeit, mehr Zeit für Ehefrau Birgit, Kinder und Enkeltöchter zu haben.
Fast drei Stunden dauerte das offizielle Programm mit Reden und sehr emotionalen Musikbeiträgen. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich seit dem Flugzeugabsturz mit der Schule und Ulrich Wessel verbunden fühlt, schickte übrigens postalisch Grüße aus Berlin.
19 Jahre lang war Ulrich Wessel am Joseph-König-Gymnasium in verantwortlicher Position tätig, erst vier Jahre als stellvertretender Schulleiter, dann als Schulleiter. Er bleibt in Erinnerung als Oberstudiendirektor, der den Ausdruck Work-Life-Balance zwar kennt, aber ich davon nicht sonderlich beeindruckt zeigte, beschrieb Dietmar Bienert (erweiterte Schulleitung) das Arbeitspensum von Ulrich Wessel. Präsenz morgens ab 6 Uhr, Erreichbarkeit und Hilfsbereitschaft rund um die Uhr, das sei der Zeitplan seines Berufslebens gewesen.
„Du hast der Schule gut getan“
In Erinnerung bleiben, so Bienert, Ulrich Wessels Entscheidungsfreudigkeit, sein Mut, sein kollegialer Führungsstil, sein Streben nach Harmonie, sein Pragmatismus und sein spezieller Humor („er erwischte uns manchmal kalt und machte uns sprachlos“). „Du hast der Schule gut getan.“ Auch, als am 24. März 2015 eine Tragödie von einem nie da gewesenen Ausmaß die Schule in unvergleichliche Trauer stürzte, habe er die Schulgemeinde durch diese schwere und schwierige Zeit geführt und nach außen vertreten – bis an die Grenze der physischen und psychischen Belastbarkeit.
Die Katastrophe habe ihn mehr geprägt, als er je zugeben wollte, sagte Ulrich Wessel später in seiner Rede. Liebevoll dankte er seine Ehefrau Birgit: „Du hast mich getragen, wenn ich zweifelte. Du warst an meiner Seite, als es galt, irgendwie mit der größten Katastrophe dieser Schule umzugehen.“
Auch sein Kollegium würdigt er. Es sei in Krisen gewachsen und zusammengewachsen und sehr viele hätten weit mehr als das Erwartete geleistet aus dem Wunsch heraus, diese Schule an der Seite von kritisch-loyalen Eltern weiterzuentwickeln. „Ich habe das stets gemerkt, vielleicht mich aber zu wenig bedankt.“
Patenschaft über Olivenbaum
Als Organisator und fleißiger Arbeiter mit großer Führungsqualität bleibt Ulrich Wessel jedenfalls dem Kollegium in Erinnerung, wie Markus Küsters-Ostermeier stellvertretend für alle zusammenfasste. Er sei eine echte Persönlichkeit. Das Kollegium schenkte einen Olivenbaum für den heimischen Garten sowie eine Patenschaft über einen Olivenbaum in Ligurien, weil Italien ein Lieblingsreiseziel des Ehepaars Wessel ist. Die Wertschätzung setzte Nina Buchner als Vertreterin der Elternpflegschaft fort. „Eigentlich sind unsere Kinder auch ihre Kinder. Sie waren eine verlässliche Anlaufstelle vom ersten bis zum letzten Schultag.“ Ulrich Wessel werde immer Teil der Schule bleiben. Nina Buchner ehrte auch Birgit Wessel, sie sei nach dem Flugzeugabsturz ein Fangnetz gewesen: „Sie traten kaum in Erscheinung, waren aber immer für uns da.“
Was den Schulleiter auszeichnete, kommentierten Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen. „Groß, männlich, schick gekleidet“, „hübsch, lieb und fröhlich“, „hilfsbereit, graue Haare, nett…“ – insgesamt gab es die Note „sehr gut“, „weil er genauso ist, wie ein Schulleiter sein muss.“
Den vielen wohlmeinenden Worten schlossen sich ebenso Bürgermeister Andreas Stegemann, Realschulleiter Frank Cremer und Fördervereins-Vorsitzender Dr. Axel Schaefer an. „Machet jut“, sagte Frank Cremer, der gestand, sich als rheinische Frohnatur doch gewisse westfälische Eigenschaften seines Nachbarn angeeignet zu haben.
Immer wenn es ernst wurde, nannte Mutter Wessel ihren Sohn früher bei vollem Namen. Dietmar Bienert ahnte, was sie zur Verabschiedung gesagt hätte: „Ulrich Thomas, jetzt gibt es kein Zurück mehr!“ Ulrich Wessel plant tatsächlich kein Comeback, „auch, wenn ich es als große Gunst angesehen habe, an dieser Schule als Schulleiter tätig sein zu dürfen.“
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„So we say ‚Goodbye'“
Am Freitag (5. Juli), dem letzten Schultag des ausklingenden Schuljahres, wurde Schulleiter Ulrich Wessel von der kompletten Schulgemeinde verabschiedet. Knapp 900 Schülerinnen und Schüler sowie das Kollegium versammelten sich auf dem Schulhof und sagen mit Taschentüchern winkend „Goodbye“, instrumental durch einige musikalische Lehrerinnen und Lehrer begleitet. Schulleiter Ulrich Wessel verfolgte die Darbietung zunächst vom Fenster aus, später in Mitten der singenden Menge, ebenfalls mit Taschentuch … zum Winken.
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Zur Person
Ulrich Wessel wurde 1958 in Haltern geboren. Sein Vater leitete einst die Realschule. Nach dem Abitur 1977 studierte er Geografie und Theologie, später noch Latein.
Von 1983 bis 1985 war er Referendar am Halterner Gymnasium, von 1985 bis 2005 unterrichtete Ulrich Wessel am Willy-Brandt-Gymnasium in Oer-Erkenschwick. 2005 kam er als neuer stellvertretender Schulleiter zurück nach Haltern. Wegen der Erkrankung des Schulleiters Johannes Hermsen musste er zwischendurch häufig das Gymnasium hauptverantwortlich leiten. 2009 schließlich übernahm er die Schulleitung.
Ulrich Wessel engagierte sich nebenbei immer ehrenamtlich, u. a. in der Kirchengemeinde St. Laurentius und als Mitorganisator für Aktionen zugunsten von Arco Iris und Peter Neuhofer in Bolivien.