Nach dem beeindruckenden Bericht von Eva Weyl im Dezember des letzten Jahres besuchten zwei Klassen der Stufe 9 die Gedenkstätte Westerbork in den Niederlanden, in der auch Eva Weyl als Kind mit ihren Eltern interniert war. Etwa 107000 Menschen wurden über Westerbork in die Vernichtungslager deportiert. 102000 von ihnen wurden ermordet. Eva Weyl gehört zu den weniger als 5% der Menschen, die in Westerbork interniert waren und überlebt haben und durch ihre Berichte an den Holocaust erinnern können.
Westerbork war von den Niederlanden in den 1930er Jahren eingerichtet, um die Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland vorübergehend unterzubringen. Nach dem deutschen Einmarsch in die Niederlande nutzten die deutschen Besatzer die vorhandene Infrastruktur und bauten das Lager ab dem 1. Juli 1942 zu einem von zwei zentralen Durchgangslagern in den Niederladen aus. Von hier aus fuhren bis Kriegsende insgesamt 93 Züge in die Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Theresienstadt und Bergen-Belsen. Auch Anne Frank war hier einige Tage mit ihrer Familie interniert, bevor sie kurz nach ihrer Ankunft mit dem nächsten Zug ins Vernichtungslager deportiert wurde.
Der Aufbau und die verschiedenen Stationen der Erinnerungsstätte widersprachen immer wieder unseren Erwartungen. Die räumliche Trennung des Besucherzentrums von dem eigentlichen ehemaligen Lagergelände hielt uns vor Augen, wie abgeschieden das Lager von der Öffentlichkeit lag. Der drei Kilometer lange Waldspaziergang bot uns zudem die Möglichkeit, die Eindrücke des zuvor durchgeführten Museumsbesuchs zu reflektieren und sich über Empfindungen auszutauschen: Denn gerade die ausgestellten Alltagsgegenstände, wie z. B. die vielen Zeugnisse aus der „Lagerschule“, verstärkten die emotionale Betroffenheit mit den ehemaligen inhaftierten Menschen und Familien. Gleichzeitig riefen sie die Frage hervor, warum beispielsweise Kinder in diesem Lager unterrichtet wurden, wenn ihnen der Abtransport in Vernichtungslager vorbestimmt war.
Ähnliche Fragen stellten sich auch während der Führung auf dem eigentlichen Lagergelände: Warum unterstütze der Lagerkommandant die Errichtung eines Krankenhauses oder warum ließ er dort ein Kleinkind aufwändig gesund pflegen, um es danach in ein Vernichtungslager schicken zu lassen? Deutlich wurde, dass diese makabre Täuschung der Insassen erwirkte, dass sie ihre begrenzte Aufenthaltszeit zwischen Angst und Hoffnung verbrachten. Dem verantwortlichen Kommandanten garantierte sie einen reibungslosen Ablauf des Lageralltages und der Deportationen. Nach Kriegsende versuchte dieser zudem abzustreiten, so kaltblütig gehandelt zu haben und gab vor, tatsächlich nichts von den Vernichtungslagern gewusst zu haben.
Doch insbesondere der hier stattgefundene systematische Ablauf und der Umstand, dass die Schienen mitten durch das Lager verliefen, verdeutlichten uns die Dimension dieser Transporte. Durch die heutige Ausrichtung der „Schienen“ ins Nirgendwo spiegelt das von Ralph Prins entworfene Monument die Verzweiflung der Menschen wider, die gezwungen waren, in die Züge steigen und die an diesem Ort bewusst über ihr Schicksal getäuscht wurden. Dies führte uns unser Begleiter während der Besichtigung des Geländes immer wieder durch die Schilderung von Einzelschicksalen vor Augen. Sie halfen zudem, sich das ehemalige Lagergelände vorzustellen, von dem häufig nur noch die Grundrisse der einzelnen Baracken und Gebäude zu sehen sind. Einen bewegenden Abschluss bildeten für uns die 102000 errichteten Gedenksteine, die je einen in diesem Lager inhaftierten und deportierten Menschen symbolisieren. Sie halfen uns, die Dimension dieses Verbrechens ansatzweise mit den Augen zu erfassen.